Michel Willaume leitet Think Pastry, ein Beratungsunternehmen in Barcelona, das mit Schulen, Restaurants und Boutiquen zusammenarbeitet. Er liefert uns seine Philosophie und seine Vision des Berufes.
Erzählen Sie uns zunächst etwas über Ihre Herkunft und Ihre Erfahrungen der letzten Jahre.
Ich wurde vor 52 Jahren in Nantes (Westfrankreich) geboren. Ich begann meine Karriere mit 15 Jahren als Lehrling bei Drala, einer Konditorei in Nantes, und arbeitete dann in Paris bei Dalloyau, im Matignon und bei Karly. Ich ging nach Nantes zurück und war Chef bei Jamin. Ich war Chef-Patissier im Ritz Carlton von Barcelona, bevor ich für acht Jahre in die USA ging. Ich war Mitglied des amerikanischen Teams, das 2001 die Patisserie Weltmeisterschaft in Lyon gewann. Danach war ich längere Zeit in Japan und ließ mich schließlich in Barcelona nieder, wo ich 2006 Think Pastry gegründet habe. Ich bin ebenfalls seit vielen Jahren Brand Ambassador Les vergers Boiron und Valrhona-Botschafter, wodurch ich mit vielen Chefs in der ganzen Welt zusammenarbeiten und andere ausbilden durfte.
Können Sie uns die Philosophie von Think Pastry zusammenfassen?
Für mich gibt es keine Unterscheidung zwischen der Idee, dem Gedanken und der Aktion, der Umsetzung. Die Deutschen haben ein tolles Wort dafür, nämlich Praxis, und es bedeutet, Ideen in die Tat umsetzen. Dies setzt voraus, dass man sein Leben voll auslebt und alle gebotenen Möglichkeiten ergreift: Die Welt bereisen und verschiedene Kulturen kennenlernen, Menschen begegnen, die eine Leidenschaft haben, um Ideen und Inspirationen auszutauschen. Chef Patissier zu sein beschränkt sich nicht auf seine eigene Persönlichkeit oder das Erreichte; es impliziert vielmehr das Teilen und die Weitergabe. Die Philosophie von Think Pastry lässt sich in vier Sätzen resümieren: Grundlagenwissen ist notwendig - Erfahrung macht alles - Zuhören ist der beste Weg, die Bedürfnisse der Anderen zu erkennen - Dazulernen durch das Teilen der Ideen und Gedanken, wodurch ein positiver Prozess entsteht.
Über die Verbindungen, die Sie zwischen den verschiedenen Formen der Kreativität schaffen, enthält Ihre Auffassung des Teilens wie mir scheint eine weitere Dimension.
Absolut. Der Schlüssel zum Fortschritt liegt darin, verschiedene Disziplinen miteinander zu verknüpfen. In Englisch heißt das Crossover. Die Patisserie beispielsweise inspiriert sich mehr und mehr an der Gastronomie in ihrer konstanten Suche nach neuen Geschmackskombinationen, wohingegen die visuelle Kreativität der Patisserie die Gastronomie kontinuierlich beeinflusst. Das Wissen und die Erkenntnisse in den Berufen der Kulinarik machen heute beträchtliche Fortschritte, sowohl in technischer wie kultureller Hinsicht. Wir haben ebenfalls die Grenzen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart eingerissen. Um mir eine Vorstellung über den Geschmack einer Frucht zu machen, kann ich den Tastsinn meines Vaters und meines Großvaters heranziehen, ich kann aber auch die neuesten technischen Errungenschaften einsetzen, die sich auf die jüngsten wissenschaftlichen Forschungen stützen. Das Konzept von Think Pastry ist nicht abstrakt oder rein ästhetisch. Es geht darum, die Techniken zu erforschen, welche die Erzeugung einer besseren und gesünderen Ernährung gestatten, und einfach verfügbare Zutaten in effizienten Herstellungsprozessen zu verwenden, damit die Mehrheit Zugang zu einer qualitativ guten Ernährung findet.
Wie arbeiten Sie, und mit wem?
Ich versuche, verschiedene Geschmäcker in meinem Kopf zu kombinieren, z.B. ein Kraut und eine Frucht, dann wird ausprobiert. Ich stelle mir Sachen vor, die die Sinne ansprechen. In ihrer Verwirklichung suche ich, die ursprüngliche Sensibilität wieder auszudrücken. Deshalb ist die Wissensvermittlung für mich so wichtig, denn sie zwingt einen, sich in Frage zu stellen und das, was man im Kopf hat, so zu drehen und wenden, dass man eine reale, greifbare Sache daraus machen kann. Und dann, wenn man die Phantasie mit Disziplin, Technik und Kreativität zusammenbringt, dann vollzieht sich ein wahrer Zauber. Es ist notwendig, an die Bedingungen und Vorgaben des physikalischen Wissens zu denken und sich von allen Konventionen frei zu machen.
Ich habe mit sehr vielen verschiedenen Personen und Unternehmen gearbeitet: Lehrlinge, die die Grundlagen des Metiers erlernen möchten, bis hin zu gut etablierten Unternehmen, die Innovation betreiben und Gebiete außerhalb ihrer Komfortzone erforschen wollen. Ich habe meinen eigenen Unterrichtsstil und versuche, mich an die spezifischen Bedürfnisse meines Gegenübers anzupassen. Rein technologisch erläutere ich gerne alle Rezepte, alle Zutaten, alle Methoden und Verfahren, damit die Leute verstehen und im Endeffekt selbständig denken können. Ich bitte sie darum, im wahrsten Sinne des Wortes die Patisserie zu denken, denn wenn sie lernen zu denken, erlernen sie die Logik der Patisserie und in den meisten Fällen kommen die Antworten wie von selbst. Ich brauche nur eine kleine Hilfestellung zu geben, damit sie herausfinden, was sie im Kopf haben und wie sie es hervorholen können.
Wie sehen Sie die Zukunft?
Ich glaube nicht, dass ich diese Frage so einfach beantworten kann. Wenn Sie sich auf eine kreative Arbeit einlassen, wissen Sie nie im Voraus, was passieren wird. Und wenn Sie wie ich ein Globetrotter des Geschmacks sind, wollen Sie sich nicht auf eine vorgefasste Idee Ihres Ziels festlegen. Ich bin ein Wissensfanatiker, versessen auf die Verwendung von Produkten in verschiedenen Kontexten und der Bedeutung ihres offensichtlichen oder versteckten Geschmacks. Somit ist es klar, dass meine kreative Arbeit in der Patisserie notwendigerweise durch diese Kontexte beeinflusst wird und sich ständig weiterentwickelt. In den verschiedenen Kontexten, die ich erforsche, bemühe ich mich, positive Kritik zu respektieren und einzubringen. Ich versuche, ihre Quintessenz zu integrieren, und wenn andere Personen in anderen Kontexten ihre Art haben, Aromen zu schaffen, von denen sie denken, sie entsprechen den Erwartungen ihrer Kunden, oder Vorlieben für Geschmack und Dekoration haben, dann will ich ihre besondere Welt ergründen und verstehen, aber ich möchte auch Ideen mitgeben, damit sie sich in Frage stellen und erneuern können. Spontaneität und das natürliche Denken sind für mich sehr wichtig. Ich versuche anderen die Art zu vermitteln, wie ich Elemente kombiniere, die zum großen Teil aus Geschmack, aber auch aus visuellen Einflüssen bestehen. Anschließend ist es jedem selbst überlassen, seine eigene Erfolgsformel zu finden. Von dem, was ich gebe, erhalte ich genauso viel zurück, wenn nicht sogar mehr, und das ist fantastisch.